Subjektivismus vs. Objektivismus: Die Einordnung der Praxeologie

Subjektivismus vs. Objektivismus: Die Einordnung der Praxeologie

In der Praxeologie - der Lehre des menschlichen Handelns nach Ludwig von Mises - geht es nicht darum, die Bedeutung einer objektiven Realität zu leugnen oder zu minimieren, sondern darum, dass menschliches Handeln durch subjektive Werturteile vom Individuum und dessen Handlungsentscheidungen geprägt wird und diese Tatsache erst eine „‚objektive Realität‘ erschafft“.

A-priori-Wissenschaft bezieht sich auf Wissen, das vor der Erfahrung oder unabhängig von der Erfahrung erlangt wird. Dieses Wissen ist deduktiv (vom Allgemeinen zum Einzelnen) und basiert auf logischen Schlussfolgerungen aus allgemeinen Prinzipien oder Annahmen. Diese Annahmen sind speziell in der Praxeologie die subjektive Wertlehre, Grenznutzen- und Zeitpräferenz- bzw. Urzinslehre. Ein klassisches Beispiel für A-priori-Wissen ist die Mathematik, bei der wir Wissen aus Axiomen ableiten können, ohne auf Erfahrung zurückgreifen zu müssen, welche einen objektiven, also unpersönlichen Standard definieren. Ebenso ist hier die Praxeologie einzuordnen.

A-posteriori-Wissenschaft bezieht sich auf Wissen, das nach der Erfahrung gewonnen wird. Dieses Wissen basiert auf Beobachtungen, Experimenten und empirischen Daten und wird induktiv (vom einzelnen zum Allgemeinen) abgeleitet, wie es in den Naturwissenschaften der Fall ist und dessen Resultate keine eindeutige Wahrheit oder Falschheit widerspiegeln. Lediglich bildet das persönliche Urteil, die Interpretation der Ergebnisse, den „Wahrheitswert“ der Untersuchung. Ein Beispiel für A-posteriori-Wissen ist die Physik, bei der man Theorien auf Basis von Beobachtungen und Experimenten entwickelt.

Die Praxeologie kann nicht als ausschließliche Theorie oder Methode zur Erklärung menschlichen Handelns angesehen werden. Es verlangt dafür eine multidisziplinäre Herangehensweise, die Aspekte aus verschiedenen Disziplinen der Sozialwissenschaften wie Psychologie, Soziologie, Anthropologie et cetera zu integrieren, um ein umfassenderes Verständnis des menschlichen Handelns zu ermöglichen. Mises differenziert jedoch zwischen Praxeologie und Thymologie.

Die Praxeologie, als A-priori-Wissenschaft, geht der Frage nach, wie Menschen handeln, das heißt, weshalb sie bestimmte Mittel wählen, um Entscheidungen zu treffen und wie sich ihre Handlungen auf die reale Welt auswirken.

Mit der Thymologie, als A-posteriori-Wissenschaft, fasst Mises die Psychologie, Soziologie, Anthropologie, Teleologie (welche Dinge und Phänomene im Universum Zwecke oder Ziele erfüllen, die auf eine bestimmte Absicht oder Intention des Individuums hinweisen) et cetera zusammen. Die Thymologie geht der Frage nach, wie mentale Phänomene (Gefühle, Leidenschaft) entstehen, wie sie sich auf unser Denken und Handeln auswirken und wie sie in verschiedenen sozialen und kulturellen Kontexten beeinflusst werden. Das heißt, die Thymologie untersucht nicht nur individuelle Gefühle und Emotionen, sondern auch Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Handlungsakteuren und Gruppen in sozialen Situationen.

[Mises] erkannte, dass sich die Ökonomie nicht sinnvoll mit dem methodologischen Instrumentarium der Naturwissenschaften beschreiben liess, also der Darstellung von konstanten Zusammenhängen zwischen – im weitesten Sinne – messbaren Grössen. Denn «messen» heisst, etwas mit einem objektiven, sprich unpersönlichen Standard zu vergleichen. In der Ökonomik hingegen – und überhaupt beim menschlichen Handeln – geht es um Wollen, um Vorlieben, also um subjektiven Nutzen. Und Nutzen lässt sich nicht messen im vorbenannten Sinne, weil es keinen objektiven Standard dafür gibt, sondern nur viele subjektive. Es gibt keinen «Ur-Nutzen», der irgendwo herumläge, wie etwa ein Ur-Kilogramm oder ein Ur-Meter. [1]

Anders ausgedrückt: In der Welt der Naturwissenschaften und des menschlichen Handelns ist klar, dass es a priori Unsicherheit gibt und dass die Genauigkeit der Informationsbeschaffung begrenzt ist. Darüber hinaus wägt das Individuum aus seinen eigenen Erfahrungen ab, welche Mittel es nutzt, um seine Ziele zu erreichen; unabhängig von der Bewertung Dritter, ob diese Mittel effizient gewählt wurden oder nicht.

Die Mises’sche Praxeologie „behauptet“ nicht, dass ihre Aussagen absolut und unfehlbar sind, sondern dass sie auf vernünftigen und logischen Schlussfolgerungen basieren, die aus den Grundannahmen der Methode abgeleitet werden. Die Praxeologie beruht nicht auf empirischen Beobachtungen, sondern auf der Analyse der Grundprinzipien des menschlichen Handelns. Somit ist die Praxeologie also keine empirische, sondern eine rein deduktive Wissenschaft. Das bedeutet nicht, dass es keine a priorische Wahrheit gibt oder dass die Position von Mises in sich widersprüchlich ist. Dies bedeutet ebenso nicht, dass die Praxeologie keine praktische Anwendung hat oder dass ihre Schlussfolgerungen nicht auf empirische Beweise gestützt werden können. Es bedeutet vielmehr, dass diese Methode nicht auf empirische Beweise angewiesen ist, um gültige Aussagen zu treffen und dass sie sich die Wertung persönlicher Standards und Messungen nicht anmaßt, da diese in der Subjektivität des Individuums verborgen bleiben.

In Bezug auf die A-priorische-Wahrheit ist es wichtig zu wissen, dass Mises davon ausging, dass bestimmte Aussagen, wie zum Beispiel das Gesetz der Widerspruchsfreiheit, a priori wahr sind - eine Aussage kann nicht sowohl wahr als auch falsch sein. Dies bedeutet ferner, dass diese Aussagen auf der Basis der Vernunft und der Logik als wahr erkannt werden können, ohne auf empirische Beweise angewiesen zu sein und nur dann ein objektiver Standpunkt gewonnen werden kann.

Ein Antibeispiel wäre eine moralische Debatte, ob Abtreibung moralisch akzeptabel ist oder nicht. Es gibt Menschen, die glauben, dass Abtreibung ein moralisches Recht der Frau ist, während andere glauben, dass es moralisch falsch ist, ein Leben zu beenden. In solchen Fällen kann es keine objektive Wahrheit darüber geben, was moralisch richtig oder falsch ist, da moralische Werte und Normen subjektiv und kontextabhängig sind.

Ein Beispiel auf Basis der Vernunft und Logik ist die mathematische Aussage "2+2=4". Diese Aussage ist auch a priori wahr, da sie auf der Definition von Zahlen und der Logik der Addition basiert und nicht auf empirischen Beobachtungen. Demnach sind diese Aussagen als objektiv wahr zu erkennen, da sie auf Vernunft und Logik basieren und von unseren subjektiven Meinungen oder Werten unabhängig.

Ein weiteres, ökonomisches Beispiel wäre die Untersuchung der Beziehung zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Markt. Angenommen, auf einem Apfelmarkt gibt es viele Käufer und weniger Verkäufer. Der Verkäufer will eine möglichst hohe Gewinnspanne erzielen und verkauft die Äpfel entsprechend zu einem hohen Preis. Einige Käufer werden versuchen, billigere Alternativen zu finden, einige nicht. Wenn die Verkäufer ihre Äpfel aber zu einem niedrigen Preis anbieten, werden die Käufer wahrscheinlich mehr Äpfel kaufen, als die Verkäufer zur Verfügung stellen können. Die praxeologische Analyse des Marktes für Äpfel würde zeigen, dass die Verkäufer ihre Preise auf der Grundlage ihrer subjektiven Bewertungen des Nutzens und des Gewinns festlegen. Die Käufer treffen ihre Kaufentscheidungen auf der Grundlage ihres individuellen Nutzens. Wenn die Käufer den Preis für die Äpfel als zu hoch empfinden, wird die Nachfrage sinken, bis sich der Markt bei einem niedrigeren Preis wieder ausgleicht. Wenn die Verkäufer den Preis für die Äpfel als zu niedrig empfinden, werden sie möglicherweise weniger Äpfel anbieten oder auf andere Märkte ausweichen, bis sich der Markt bei einem höheren Preis wieder ausgleicht.

Es ist möglich, dass individuelle psychologische Faktoren, wie zum Beispiel psychische Erkrankungen, Einfluss darauf haben können, wie eine Person die objektive Realität subjektiv wahrnimmt und darauf reagiert. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu beachten, auf welche Art und Weise diese Faktoren die Wahrnehmung beeinflussen. Daher ist es wichtig und unvermeidlich, sowohl objektive als auch subjektive Faktoren bei der Erklärung menschlichen Handelns zu berücksichtigen.

Es soll hier betont sein, dass mit „objektiver Realität“ in diesem Kontext die Existenz von unabhängigen und messbaren Phänomenen und Gesetzmäßigkeiten in der Welt gemeint ist, die unabhängig von der Wahrnehmung und Interpretation durch den Einzelnen existieren. Die Wahrnehmung der Realität ist zwar immer subjektiv und durch individuelle Erfahrungen und Perspektiven geprägt, aber es gibt dennoch bestimmte Aspekte der Welt, die unabhängig von der individuellen Wahrnehmung existieren und messbar sind. Beispiele hierfür sind die Schwerkraft oder die chemischen Eigenschaften von Stoffen, also deren bloße Existenz.

Die Berücksichtigung subjektiver und objektiver Faktoren ist ein wichtiger Aspekt, da die Praxeologie sich mit dem Handeln und der Interaktion von Menschen in einer sich ständig verändernden Welt konfrontiert sieht und die Bedeutung von Kontext und Perspektive bei der Interpretation (Bewertungs- und Bedeutsamkeitsurteile) menschlichen Verhaltens betont. Das bedeutet, dass eine Berücksichtigung beider Aspekte insofern infrage kommen, als es objektive Gegebenheiten - die Existenz von Objekten, wie bereits beschrieben - gibt und die subjektive Wahrnehmung und Interpretation des Individuums, wie sie die Lebenswirklichkeit versteht und für sich Entscheidungen trifft, um Ziele zu erreichen. Das Konzept der objektiven Realität bleibt dabei als Referenzgröße bestehen, um menschliches Handeln und Entscheidungen im Kontext der Gegebenheiten der realen Welt, also den realen Gegebenheiten und Möglichkeiten innerhalb der Naturgesetze des irdischen Lebens, zu erklären.

Ein Beispiel für psychische Erkrankung wäre, ein Mensch, der unter Schizophrenie leidet, kann die objektive Realität (der Dinge) anders wahrnehmen als eine Person ohne diese Erkrankung.[2] Eine Stimme oder Halluzination [2] kann für ihn real erscheinen, obwohl sie nicht existiert, dennoch der Objektivität des Erkrankten aus der Subjektivität projiziert wird. Dies zeigt, dass individuelle, thymologische Faktoren wie psychische Erkrankungen die Art und Weise beeinflussen können, wie eine Person die objektive Realität wahrnimmt und darauf reagiert. Die subjektive Wahrnehmung und Interpretation eines schizophrenen Patienten kann man dann besser verstehen und ihn unterstützen, indem man seine subjektiven Erfahrungen berücksichtigt.

Wenn nur die Methode des (eigentümlichen) Verstehens angewendet wird - zum Beispiel, indem man versucht, über historisches Faktenwissen menschliches Verhalten zu mutmaßen, zu interpretieren - und aufgestellte Thesen nicht im Widerspruch zu den genannten A-priori-Wissenschaften stehen, bleibt immer noch ein persönliches Element übrig, das nicht nach einem objektiven Standard überprüft werden kann. Aus diesem Grund variieren die Analysen von Historikern, Soziologen und empirischen Volkswirten oft erheblich. [1] Dies ist eine Kritik der Praxeologen, die auch schon Anfang des 20. Jahrhundert im sogenannten „Werturteilsstreit“ zwischen Max Weber (Nationalökonom und Soziologe) und Mises entbrannte. Beide waren der Auffassung, dass alle Wissenschaften, insbesondere die Sozialwissenschaft, sich auf eine deskriptive Erfassung des Gegebenen und eine wertfreie Erkenntnisbetrachtung konzentrieren sollten. Mises, anders als Weber, rückte jedoch nie davon ab, dass politisch-moralische Stellungnahmen mit der Wertfreiheit unvereinbar sind,

[…] umso weniger als [Mises] die Wertfreiheit der Praxeologie (und damit auch die der Nationalökonomie) mit dem methodologischen Subjektivismus verband: In diesem Subjektivismus unserer Lehre liegt zugleich ihre Objektivität. Weil sie subjektivistisch gerichtet ist, weil ihr jedes Werturteil, eines handelnden Menschen als gegeben und keiner weiteren Kritik unterworfen erscheint, ist sie über alle Parteiungen und Parteikämpfe erhaben, ist sie selbst ohne Weltanschauung und ohne Moral, ist sie objektiv, wertfrei […].[3]

Mises vertritt demnach die Auffassung, dass die Praxeologie und die Ökonomie subjektivistisch gerichtet sein sollten, da jeder Mensch seine eigenen subjektiven Werturteile hat. Indem die Praxeologie diese subjektiven Werturteile als gegeben annimmt und sie nicht weiter kritisiert, wird sie objektiv und wertfrei. Wichtig ist, dass dies nicht mit einem moralischen oder politischen Neutralismus gleichzusetzen ist, sondern vielmehr bedeutet, dass politische und moralische Werturteile außerhalb des Bereichs der Praxeologie und Ökonomik liegen sollten, da sie die Analyse von Handlungen und Entscheidungen verfälschen könnten. Daher sollten wissenschaftliche Untersuchungen objektiv (praxeologisch) bleiben und sich auf die deskriptive Erfassung des Gegebenen konzentrieren, ohne moralische oder politisch-moralische Stellungnahmen zu treffen und Ökonomik nicht als Pseudo-Naturwissenschaft zu missbrauchen.

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Quellen

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